Das Christentum wird in China zunehmend bedeutsamer. Menschen, die sich desillusioniert von der Politik und damit von der Kommunistischen Partei wegen der verbreiteten Korruption abwenden, suchen in der Religion Halt, wie „AsiaNews“, der Informationsdienst des Päpstlichen Instituts für die auswärtigen Missionen, berichtet. Seit einigen Jahren werde ein wirklicher Andrang zum Christentum überzutreten beobachtet, sei es zur katholischen Kirche oder zu verschiedenen protestantischen Denominationen. Allein am Heiligabend seien in Peking rund 3.000 Menschen getauft worden.
Der Atheismus ist aber immer noch in der Mehrheit und Kommunisten wachen eifersüchtig darüber, dass der politisch-gesellschaftliche Einfluss der Christen überschaubar bleibt. In der Stadt Wenzhou unweit der Küste des Ostchinesischen Meeres in der Provinz Zhejiang hat die für Bildung zuständige Behörde eine Direktive erlassen, um die Anziehungskraft des Christentums für junge Leute einzudämmen: Weihnachtsfeiern in Schulen und Kindergärten wurden verboten und als „kitschig“ und „unchinesisch“ bezeichnet. Der Parteisekretär der Provinz betrachtet den Einfluss des Christentums als „westliche spirituelle Verschmutzung“. Es läuft dort bereits eine Kampagne, Kreuze und religiöse Gebäude niederzureißen. Ironie der Geschichte: In Zhejiang werden 60 Prozent der weltweiten Weihnachtsdekorationen gefertigt.
Auch in ganz China sind inzwischen Weihnachtsbäume, -krippen, -grußkarten und Nikolausfiguren leicht erhältlich. Tausende Ungetaufte besuchen an Weihnachten die Kirchen, um mehr über das christliche Fest zu erfahren. Manch Gottesdienstbesucher entschließt sich, Taufbewerber zu werden. Laut einer Umfrage vor einigen Jahren an den Universitäten in Peking und Schanghai interessieren sich 60 Prozent der jungen Leute dafür, das Christentum näher kennenzulernen.
„Die Kirche in China wächst rasant und sie wächst schneller als alle anderen Religionen, schneller als der traditionelle Buddhismus und Daoismus, schneller auch als viele neue Sekten und Sondergemeinschaften wie die Falun-Gong-Bewegung, die im Reich der Mitte ihre Lehren verbreiten“, bestätigt auch Michael Ragg, Kenner des chinesischen Christentums. Die Gesamtzahl der Christen könne womöglich schon auf hundert Millionen geschätzt werden. „Genau weiß man es nicht, da nur die staatlich registrierten Katholiken und Protestanten offiziell gezählt werden, nicht aber die weit zahlreicheren Christen in protestantischen Hauskirchen und in den nicht registrierten katholischen Gemeinden, die oft noch, etwas irreführend, als „Untergrundkirche“ bezeichnet werden“, erklärt Ragg weiter.
Chinas Kommunistische Regierung habe schon vor Jahren an einigen Hochschulen Institute zur Erforschung des Christentums gegründet, da in der chinesischen Kultur Vorbilder eine besondere Rolle spielten. Nach der Kulturrevolution habe sich die chinesische Staatsführung gefragt, wie es der Westen zu Wohlstand, Sicherheit und hoher Lebensqualität gelangt sei, dass dabei die alte chinesische Kultur weit abgehängt wurde. „Die Leiterin eines solchen Instituts teilt uns ihre Forschungsergebnisse mit, die viele Intellektuelle im Westen erstaunen würden: Motor des Fortschritts sei das Christentum gewesen“, berichtet der Experte. Über die rein geistige Beschäftigung mit diesen Fragen seien nun viele Intellektuelle ohne Bindung an christliche Gemeinden zum Glauben gekommen. Inzwischen spreche man in China vom Phänomen des „Kulturchristentums“.
Die oberste chinesische Führung beantwortet die gesellschaftliche Realität auf außenpolitischer Ebene mit einem vorsichtigen Umgang in den Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Sie ist an einer Fortsetzung des Meinungsaustauschs interessiert, ist Tom Plate, Professor für Asienstudien an der renommierten Loyola Marymount University in Los Angeles, überzeugt. Einer der schwierigsten Punkte im Dialog sind die Bischofsernennungen, die Peking als Eingriff in die Souveränität betrachtet und mit Unverständnis der Loyalität der Katholiken in religiösen Angelegenheiten gegenüber steht. Die Verhandlungen über das Verfahren zur Ernennung von Bischöfen sind an einem schwierigen Punkt angekommen, meint Plate in einem Kommentar in der Zeitung „South China Morning Post“ (Hong Kong). Dennoch sei die Kluft nicht unüberwindbar.
Aus diesem Grund vermied Papst Franziskus verständlicherweise bislang, China in irgendeiner Weise gegen sich aufzubringen, insbesondere indem er davon Abstand nahm, den 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, kürzlich während dessen Besuchs in Rom zu empfangen. Der Papst bringe dem Dalai Lama "hohes Ansehen" entgegen, ließ der Vatikan wissen, aber seine Anfrage musste "aus offensichtlichen Gründen" abgelehnt werden. Das Problem ist ein politisches, da für Tibet eine wirkliche Autonomie angestrebt wird.
( 2. Januar 2015) © Innovative Media Inc.